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Warum ich glaube, ein Introvert zu sein

Warum ich glaube, ein Introvert zu sein

Wenn einem immer gesagt wird, dass man so und so sei, dann glaubt man es irgendwann selbst. 

Jahrelang habe ich gedacht, dass ich extrovertiert sei. Ich rede viel, bin gerne unter Leuten und viel unterwegs. Ich habe mir sagen lassen, dass das doch eine typische Form von Extraversion ist. Und es selbst geglaubt.

Dabei bin ich das gar nicht. Jedenfalls nicht so, wie ich immer dachte. Bei einem Vortrag wurde mir klar, dass ich introvertierter bin, als ich immer dachte. Dass der extrovertierte Teil in mir gar nicht überwiegt und war selbst ein wenig überrascht. Woran ich das gemerkt habe?

Was ist Introversion?

Die vortragende Person hat Introversion wie folgt erklärt: Wir ziehen unsere Antriebskraft von innen und sammeln Energie in den Momenten, in denen wir alleine sind und uns ausholen können. Extravertierte (gerne in wissenschaftlichen Kontexten benutzt) Menschen hingegen müssen unter anderen Menschen sein und holen sich aus Erlebnissen ihre Kraft. Wenn sie einen Tag zuhause sitzen, fällt ihnen die Decke auf den Kopf, während introvertierte Menschen diese Zeit genießen. Stattdessen finden Introverts es irgendwann anstrengend unter Menschen zu sein.

Ich wollte es erst nicht verstehen, aber in dem Moment hat es Klick gemacht. Ich bin gerne für mich alleine. Oft finde ich es anstrengend, wenn Bekannte mich besuchen und ich muss mich vorher immer überwinden. Klar bin ich gerne mit engen Freunden unterwegs, aber ich brauche genauso viel Zeit nur für mich. Ich brauche Ruhe und will mich zurückziehen können.

I’m all alone, but I’m not lonely – Haruki Murakami

Trotzdem bin ich laut und rede viel, wenn ich unter Menschen bin. Ich lerne gerne neue Menschen kennen und verbringe oft Abende in Clubs. Aber genauso freue ich mich auf den Sonntag, an dem ich nichts vorhabe. Ich entspanne gerne nach der Arbeit und brauche keine Dauerbeschäftigung.

Schaue ich, wie meine Freundin ihre Kraft schöpft, kriege ich fast die Krise: Sie ist gefühlt von morgens bis abends unterwegs und wenn sie keinen Sport macht, ist sie unausgeglichen. Zuhause nichts tun, das kennt sie nicht. Stattdessen bekommt sie ihre Energie durch andere Menschen, wenn sie unterwegs ist. Würde ich genauso viel unterwegs sein wie sie, ich wäre vermutlich schon zusammengebrochen.

introvertiert

Wenn man sich eine Skala von Introversion zu Extraversion veranschaulicht, bin ich vermutlich irgendwo zwischen 30-40%, wobei 50% genau die Mitte zu beiden Extremen ist. Also bin ich nicht unglaublich introvertiert, habe aber mehr Züge aus dem Bereich. Me-Time ist für mich genauso essentiell, wie die Zeit mit Familie oder Freunden. Ich kann mich super alleine beschäftigen und fühle mich nie einsam.

Was ist ein typischer Introvert?

Doch das waren für mich nie Zeichen von Introversion. Denn was verbindet man eigentlich mit typischen Introverts? Meine ersten Gedanken (Hallo Schubladendenken!) sind da leider alles andere als differenziert gewesen: Stille Menschen, die sich zurückhalten und vielleicht mal auf einer Party aus sich herauskommen. Dabei gibt es viel mehr Varianten und kein Weiß oder Schwarz, sondern eine Facette von Grautönen, wenn es um die eigentliche Persönlichkeit geht. Schließlich ist man nicht andauernd gesprächig und kann auch nicht tagelang Dauerlächeln.

Nur weil ich taff bin, heißt es noch lange nicht, dass ich es immer sein kann. Die wenigsten Menschen kennen mich schwach und emotional und genau deshalb werde ich vermutlich so anders eingeschätzt. Man könnte es als umgekehrten Schutzmechanismus ansehen. Während andere sich verschließen, indem sie ruhig und zurückhaltend sind, verschließe ich mich, indem ich meine Emotionen verstecke.

Seit diesem Moment im Vortrag und nachdem ich meine Freundin neben mir gefragt habe, was ich denn sei und sie sagte:“Ich glaube eher introvertiert, oder?“, denke ich viel darüber nach. Über mein Verhalten, meine Interessen, aber auch über Momente, die ich nicht mag. Seitdem weiß ich, dass man sich Vieles einreden (lassen) kann. Auch wenn man gerne die eine Sache wäre, so ist man doch die andere. Auch wenn man sich immer wieder sagt, man wäre das Eine, bleibt man doch das Andere.

Falls du auch glaubst, ein Introvert zu sein, schau bei A Hungry Mind vorbei. Sabine bietet super Beiträge zu dem Thema.


  1. Carolin

    22 November

    Sieht so aus, als wäre ich auch ein Introvert, denn mir geht’s ganz genauso! Es ist mir ein Rätsel, wie manche Menschen immer unterwegs sein können.

  2. Jenni

    23 November

    Liebe Vita,

    ich lese deine Texte so gerne, weil sie immer wieder wichtige Themen differenziert behandeln. Danke dir dafür!
    Generell glaube ich natürlich, dass du absolut recht hast und es keine Schwarz-Weiß-Trennung zwischen „Introvert“ und „Extrovert“ geben kann bzw. das unglaublich viele Schattierungen dazwischen möglich sind. Und ich freue mich für dich, dass du nach dem Vortrag bzw. durch den Vortrag Gelegenheit hattest, einmal so richtig auf dich zu hören und gewissermaßen noch einmal selbst zu verorten (im Gegensatz der vorheringen Fremdverortung durch andere).

    Ich persönlich bin sicherlich zu 90% Introvert, aber ich habe das mittlerweile akzeptiert (was gar nicht so einfach ist, wenn man in einer Gesellschaft aufwächst, in der Selbstpräsentation und ein Leben im ständigen Aktionismus zur Leitlinie gemacht werden). Diversität ist wahnsinnig wichtig und absolut natürlich – aber ich glaube, es ist ebenfalls unglaublich wichtig, zu wissen, wer man selbst ist (sofern man das überhaupt irgendwann kann). Und jeder Schritt in diese RIchtung ist ein wertvoller. :)

    Liebe Grüße
    Jenni

  3. Andrea

    23 November

    Toller Post! Ich bin auch unglaublich gerne zuhause bei meiner Katze und verstehe es nicht dass manche Leute das ganze Wochenende unterwegs sind..manschmal dann einfach nur irgendwo rumsitzen…aber jedem das Seine :))

  4. Tabea

    23 November

    Also ich habe mir über das extrovertiert oder introvertiert sein bis vor kurzem nie Gedanken gemacht – ich wäre immer froh gewesen, öfter dabei sein zu dürfen, da ich in der Schule immer unbeliebt war.
    Aber gerade in den letzten Monaten habe ich gemerkt, wie wichtig mir Zeit allein ist und da ich durch Blogs auch etwas über das Introvertiert sein gelesen habe, glaube ich nun auch, dass ich vielleicht doch etwas dazugehöre.

    Und ähnlich wie du verstecke ich meine Gefühle auch gern, indem ich viel rede. Schweigen verstärkt bei mir nämlich meist die traurigen Gefühle und das sieht man mir dann an…

    Liebe Grüße

  5. Melanie

    24 November

    Ich dachte genau so wie du dass ich eher extrovertiert bin. Habe mir, durch Zufall, dann auch einiges durch gelesen und sehe das so wie du. Ja, ich mag es unter Leuten zu sein, ich brauch das manchmal sogar. Aber manchmal wird es mir auch zu viel. Als ich diesen Sommer relativ viel unterwegs war, war ich so froh einfach mal wieder zu hause sein. Mir wurde das einfach zu viel, mir hat die Ruhe gefehlt. Ich kann dich also sehr gut verstehen!

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