Ich erlaube mir keine Fehler. Ich muss immer funktionieren. Eine Auszeit ist für mich keine Option. Aber als würde das nicht ausreichen, habe ich die gleichen Anforderungen auch noch an meine Mitmenschen. Sie müssen funktionieren. Wenn sie Fehler begehen, bin ich wütend. Ich bin nachtragend. Ich verstehe nicht, wie man so handeln kann. Wie man sich treiben lassen kann und sich selbst nicht zur Verantwortung zieht.
Während ich abends wachliege und meine Probleme zu lösen versuche, schläft jemand anders ohne Ballast ein. Während ich mich zu immer mehr fordere, sind andere zufrieden mit dem, was sie haben. Ich hatte schon immer hohe Anforderungen an mich selbst und bin deshalb schon etliche Male gefallen.
Aber ich bin nicht alleine. Auch andere wollen gefallen, funktionieren, erfolgreich sein. Sich zufrieden geben, können wir erst, wenn wir alles erreicht haben. Und das werden wir nie. Aber dann gibt es noch die menschlichen Momente, in denen wir nicht funktionieren. In diesen geben wir uns hin. Wir lassen unseren Gefühlen freien Lauf, wir legen alles Erreichte bei Seite. Wir trauern, sind glücklich oder gestehen uns ein, dass das nicht so funktioniert.
Müssen wir immer funktionieren?
Auch wir sind manchmal menschlich. Die Menschen, die immer zu funktionieren scheinen. Die Leute von denen gesagt wird: „Wie schaffst du das bloß immer? Wo nimmst du die ganze Zeit her?“ Auch wir haben mal schlechte Tage und regen uns über Hater oder sexistische Kommentare auf, die als Kritik abgestempelt werden.
Erst letztens las ich eine Diskussion, die sich um einen Körperschmuck, besser gesagt um das Septum drehte. Einige von euch werden die Debatte sicher mitbekommen haben. Die einen haben sich angegriffen gefühlt, die anderen haben das Problem nicht verstanden und wieder andere haben ihren Internet-Troll freien Lauf gelassen.
Dürfen wir fühlen?
In solchen Momenten fällt einem auf: Nicht nur wir selber haben so hohe Anforderungen an unser Ich. All unsere Mitmenschen auch. Wir dürfen nicht emotional sein. Wir sollen uns nicht angegriffen fühlen. Wir sollen alles runterschlucken. Schließlich herrscht Meinungsfreiheit und jeder darf sagen, was er will. Aber warum dürfen wir es dann nicht? Wieso dürfen wir nicht darauf antworten und sagen, wie sehr uns das belastet, was wir gelesen haben? Ganz davon abgesehen, dass sich heutzutage angeblich jeder angegriffen fühlt und das zu einem Running Gag wird.
Ich muss funktionieren. Soll keine Gefühle zeigen. Ist meine Aussage nicht diplomatisch und rational, kann man sie nicht ernst nehmen. Aber wo bleibt Empathie? Mitgefühl? Warum können sich so wenige Menschen in ihre Mitmenschen hineinversetzen?
Sollten wir mehr Empathie zeigen?
Auch ich bin wütend und verstehe manches Handeln nicht. Wieso konnte meine Freundin mir nicht Bescheid geben, dass sie zum etlichsten Mal zu spät kommt? Wieso stellt sich mein Bekannter in einem besseren Licht da, als es tatsächlich der Fall ist, obwohl er es nicht nötig hat? Doch dann kommt die Empathie ins Spiel. Man versucht Taten nachzuvollziehen und zu verstehen, dass wir doch nur alle menschlich sind.
Es ist okay, menschlich zu sein. Dieses Mantra sollten wir uns alle öfter vorsagen. Keiner ist perfekt, auch wenn es stets so scheint. Wir alle begehen Fehler und wir alle sollten unsere eiskalten Fassaden hin und wieder herunterreißen.
Christina
4 September
AAAAAAMEEEEEN!!!!!
Darüber denke ich auch viel nach in letzter Zeit und ich kann dir nur zu 100% zustimmen. Es ist okay menschlich zu sein und man wird vermutlich nicht glücklich als „der Klügere“ immer nachzugeben, denn dann gewinnen eben immer die Dummen…
Vita
5 September
Ah danke dir :) Ich habe wegen einigen Situationen immer häufiger über das Thema nachgedacht und auch gemerkt, dass es nicht immer besser ist rational zu denken.
Liebe Grüße,
Vita
Dunja
4 September
Hey Vita,
an dieser Stelle würde ich gern einen klugen, durchdachten Kommentar schreiben. Da heut aber irgendwie nicht so mein Tag ist, klappt das mit dem durchdacht formulieren nicht richtig. Trotzdem probier ichs mal:
Ich denke, es hat einfach viel mit dem zutun, was jeder denkt, dass die Welt um uns rum von einem sehen will. Die Fassaden die wir zeigen, sind unsere Masken die wir mit der Zeit aufgebaut haben. Bestehend aus unseren Gedanken was erwartet wird und den Erfahrungen die man ohne Fassade/Maske gemacht hat. Rückblickend ist es immer okay, menschlich zu sein und Gefühle zu zeigen, aber in einer direkten Situation wird man wie du schon sagst, durch die Erwartungen von uns und anderen verurteilt.
Liebe Grüße, Dunja
Vita
5 September
Hach Dunja, deine Worte sind auch so durchdacht genug :) Genauso ist es leider und der Druck von Außen wird immer bestehen. Aber irgendwie muss man zu sich selbst finden, auch wenn man diese Erwartungen übernimmt. Ich merke in letzter Zeit immer wieder, dass ich mittlerweile ganz anders handle als früher und auch häufig kälter und emotionsloser reagiere als früher, weil mich einige Situationen einfach so geprägt haben.
Liebe Grüße,
Vita
Patty
4 September
Ein wundervoller Beitrag. Ich finde es einfach super wenn menschen genau das machen was sie für richtig halten, sich nicht verstellen und auch nicht immer versuchen perfekt zu sein. Kein Mensch ist perfekt, meistens ist das doch nur die Fassade die diesen Schein vermittelt. Zudem finde ich es auch wichtig im Leben Fehler zu machen, denn nur daraus lernt man :)
Liebe Grüße :)
Measlychocolate by Patty
Vita
5 September
Hey Patty, ja genau so wäre es ideal! Aber ich erwische mich trotzdem oft in Momenten, wo ich mir Fehler selber übel nehme und mich dann selbst überzeugen muss, dass es gar nicht so schlimm ist. Ist wirklich eine schwierige Sache mit, aber wir müssen uns wohl alle vor Augen halten, dass jeder Fehler macht :)
Liebe Grüße,
Vita
Tabea
4 September
Liebe Vita,
ich muss dir jetzt einfach mal sagen, dass mich deine Posts in letzter Zeit immer mehr begeistern.
Ein ganz bewegendes Thema hast du da gefunden! Ich selbst stelle mir auch recht hohe Ansprüche und werde leicht mal wütend, wenn jemand Dinge vernachlässigt, die mir wichtig sind (Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordentlichkeit in gewissen Bereichen).
Da mir aber durchaus bewusst ist, dass das meist nur Kleinigkeiten sind und diese Leute dafür in anderen Bereichen sehr wichtig für mich sind, versuche ich fast immer, nicht nachtragend zu sein, obwohl mir das schwer fällt. Ich rufe mir dann gern ins Gedächtnis, dass ICH eine Person sein WILL, auf die man in jeder Situation zählen kann, und daher verzeihen sollte.
Was du da mit der Meinungsfreiheit ansprichst, kann ich leider nicht so ganz nachvollziehen. Ging es bei der Debatte darum, was richtig und falsch ist, oder waren die Meinungen einfach nur bösartig formuliert?
Ich bin nämlich generell offen für alle Meinungen, nur sie sollten eben vernünftig ausgedrückt werden und es sollte nicht der Anspruch erhoben werden, dass jeder so zu denken hat.
Dass wir alle nur Menschen sind, mache ich mir oft bewusst. Wenn ich merke, dass ich eine bestimmte Macke habe, dann warne ich mein Umfeld inzwischen sogar vor, damit sie damit umgehen können (Beispielsweise mag ich nicht angesprochen werden, wenn ich nach 10 Stunden Schule nach Hause komme, sondern brauche erst eine Weile Ruhe, damit ich im Gespräch nicht patzig bin.) Und wenn jemand anderes Macken hat, versuche ich mir klar zu machen, dass eben diese den Menschen liebenswürdig machen ;)
Aber ja – du hast Recht: Mehr Empathie wäre in unserer Gesellschaft oft angebracht.
Ganz nebenbei: Die Fotos von dir sind echt gelungen! Sie wirken total ausdrucksstark, was meiner Meinung nach auch bestens zu deinem Text passt.
Liebe Grüße
Vita
5 September
Hey Tabea, ich glaube wir ähneln uns da in den Punkten sehr. Ich versuche auch nicht nachtragend zu sein, aber an manchen Punkten habe ich mittlerweile eine Achilles-Ferse, dass ich mich nicht zurückhalten kann. Das ist dann natürlich mit speziellen Personen verbunden und weniger mit der Tatsache, dass jemand vllt. nicht ordentlich oder pünktlich ist.
Zur Diskussion: Es waren sexistische herablassende Kommentare, in denen Frau erniedrigt wurde. Man wurde mit einer Kuh auf einer Weide verglichen und dass man dominiert werden will und das alles nur anhand eines Körperschmucks. Hier ist der Beitrag von der Bloggerin, von der ich sprach: MEIN LEBEN ALS STÜCK FLEISCH. und das hier der Artikel mit Kommentaren < a href="https://www.facebook.com/welt/posts/10154551885608115">Warum dieser Nasenschmuck Männer überfordert
Habe leider gerade noch ein paar neue Kommentare gelesen und bin schon wieder schockiert, was manche Menschen denken.
Und zu deinem letzten Absatz: Ich sage meinen Freunden auch immer, wenn ich schlecht gelaunt bin oder gerade richtig genervt von einer Sache, kotze mich kurz aus und mache dann weiter. Das hilft wirklich Wunder!
Und vielen Dank für deinen Kommentar :)
Liebe Grüße,
Vita
Andrea
5 September
Oh deine Bilder sind so wunderschön und ich finde den Post super geschrieben! Kann ich echt gut nachempfinden.
Sabine
6 September
Okay, zum Inhalt wurde wirklich schon das meiste gesagt, ich kann nur hinzufügen, dass es mir oft genauso geht – sowohl dass ich zu viel von mir fordere, als dass ich mich auch zu schnell über das Fehlverhalten anderer aufrege.
Was ich aber unbedingt noch sagen muss: Die Fotos sind so wunderschön und sinnlich! Hast du die selbst gemacht? Richtig großartig!
Vita
6 September
Dann sind wir wohl Leidensgenossinnen :/ Aber vielleicht ist das ja genauso ein menschlicher „Fehler“, der uns ausmacht (da könnte man wohl drüber philosophieren :D)
Und danke dir! Ja die Bilder habe ich mit meinem geliebten Selbstauslöser gemacht :D Da fällt es mir viel leichter „ernst“ zu bleiben und nicht jedes Mal drauf loszulachen.
Jenni
30 September
Liebe Vita!
Ich denke, du hast mit diesem Text absolut ins Schwarze getroffen – das haben ja auch die anderen Kommentare bereits gezeigt, denen ich mich absolut anschließen kann.
Bezüglich der Bilder: Die finde ich auch ganz große Klasse – bewundernswert, dass du es schaffst, auch dir selbst gegenüber so ehrlich zu sein, dass du so gegenüber gerade einer selbstgeführten Kamera posieren kannst. Das ist eine Kunst für sich, finde ich – und zeugt von großem Selbstbewusstsein. :)
Liebe Grüße
Jenni
Sonnenuntergänge September - Habutschu!
30 September
[…] Und wer authentisch ist, wird schnell merken, dass er nicht perfekt ist. Gut, dass laut Vita Fehler machen völlig okay ist. […]